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Life is a Cabaret, old chum! – Peter Rausch über das Hibaré

Peter Ansorge in seiner Sally Bowles-Parodie (Foto: Peter Rausch)

In dem gerade erschienenen Buch Theater* in queerem Alltag und Aktivismus der 1970er und 1980er Jahre (herausgegeben von Jenny Schrödl und Eike Wittrock/Neofelis Verlag) berichtet Autor Peter Rausch vom Hibaré, dem musikalischen Kabarett der von ihm mitbegründeten HIB. Die Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin war die erste schwullesbischbitranssexuelle Emanzipationsgruppe in der DDR:

„Im Mai 1975 organisierte die HIB ihr erstes DDR-weites Pfingstreffen. Dazu gehörte auch ein  gemeinsamer Kinobesuch:  Cabaret.  Einer von uns hatte Kontakt zum Kino Studio Camera am Oranienburger Tor. Danach hatte ich den Film bestimmt ein Jahrzehnt lang nicht mehr gesehen. Vor fünfzig Jahren, das muss man sich vergegenwärtigen, war der individuelle Zugriff des gemeinen DDR-Show-Freundes auf Medien gleich Null. Videokassetten wurden gerade erfunden, YouTube und DVD dreißig Jahre später. Ein paar Musikfilmimporte, ein Kessel Buntes, mal hier und da ein Filmmusical im Westfernsehen. Operette schien dem Osten ungefährlich, Unterhaltungskabarett ausgestorben, Musikvideos noch nicht erfunden, Solo-Selbständige noch nicht geboren.“

Vorhang einer Show in der Gemütlichen Ecke, 1976, gemalt von Peter Rausch. Später zierte dieser für ca. zwei Jahre die Kellerwände des Tanzsaals von Charlotte von Mahlsdorf.

„Wir gründeten das HIB-Kabarett zwischen Travestie und Comedy. Der ‚therapeutische‘ Gewinn eines solchen Kabaretts – das Spielen mit Geschlechterrollen – war uns gleich bewusst und wir genossen das. Das Kabarett verfügte über einen Regiestudenten, einen Schauspielstudenten, zwei Ballettstudenten, einen ehemaligen Tänzer (nun unser Choreograph) und viele, viele junge Naturtalente. Tommy war die einzige Frau, die mit uns auf der Hibaré-Bühne stand.“

Das Lied der höheren Tochter (Foto: Peter Rausch)

„Als erstes erfanden wir 1975 den Namen und das Logo unseres Kabaretts. Es setzte sich zusammen aus HIB und Kabarett. Um etwas Glamour in den Namen zu kriegen ersetzte wir „ett“ durch „é“: Hibaré. Lust auf Schnörkel, Glitzer, buntes Licht und ausladenden Kostümen bestimmte dann den Ausstattungsbetrieb. Das forderte unsere Kreativität heraus, die Kreativität des Mangels. Vorhänge aus alten Gardinen, Wäscheleinen und Wäscheklammern, selbstgemalte Paneele und Pappen, Faschingsdekoration, Schnörkel versus Geraden und rechte Winkel.“

Unrealisierter Bühnenbildentwurf für eine Hibaré-Show im Broadway-Style in der Ausflugsgaststätte Schmetterlingshorst. Ab 1976 bekam die Gruppe keine Genehmigungen für Räume mehr.

„Das weiße Kleid zum Beispiel von Glitter (Peter Messmer) als Wermuth-Eule bestand aus einer Gardine mit Spitzenkante. Das Kleid war der Knaller beim Publikum. Allerdings reichte das Material horizontal nur bis kurz hinter die Hüften. Vorn und seitlich hatte dieses Kleid Fülle, Weite und Länge eines Brautkleids. Die Glittern schaffte es, seine Rückseite dem Publikum während der gesamten Nummer vorzuenthalten, selbst beim Abgang.“

Zukunftsvision (Foto: Peter Rausch)

„In Lichtenberg mieteten wir die Gaststätte Gemütliche Ecke für die erste Silvesterfeier der HIB. Das Hibaré-Programm dort lautete 2. Homoprogramm 1999. Eine unerfüllter Traum, wie wir heute wissen. Homos und Bis haben bis heute mit ihren Angelegenheiten kaum einen Fuß in die Tür der klassischen elektronischen Medien gekriegt. Im Gegenteil, ihr Talent festigte die heteronormative Märchenwelt. Micha Unger hatte die Idee zu diesem Programm, übernahm die Regie und schrieb Texte. Mein Job war es, die Bühnenausstattung zu leisten, Kostüme zu entwickeln, später auch Texte zu schreiben und Gitarre zu spielen. Ein Nummernprogramm mit Sketchen und Tanzvorführungen aus Leipzig und Potsdam, Werbeblöcken, Moderation und dem „Berliner Knabenchor“. Dieser sang: Komm lieber Mai und mache den Hain uns wieder grün, damit in schönen Nächten wir uns den Körper nicht verkühln. Die beiden Leipziger Ballettschüler brachten einen Charleston und ihre eigene Garderobe mit.“

Silvester 1975:
Die beiden Leipziger Ballettschüler mit ihrem Charleston.
(Fotos: Peter Rausch)

„Liza Minnellis Mein Herr aus dem Film Cabaret von 1972 wurde zur Vorlage für die exzellente Tanzparodie von Peter Ansorge. Micha Unger, Regisseur des Programms, kitzelte noch die letzten Pointen aus der Choreografie. Peter Ansorge führte seinen Tanz noch Jahre später immer wieder öffentlich auf. Mit dem Film Cabaret verband uns große Sehnsucht. Diese kleine Bühne, von weißroten Glühlampenbändern eingefasst, markierte den Ort, an dem wir spielen wollten:  Outside it is windig, but here it is so hot! Und so wie die dort, hätten wir gern hier gespielt. Life is a Cabaret, old chum. So come to the Cabaret! Etwas in der Art wie Cabaret, aber eben multisexuell.“

Liza Minnelli singt And the world goes round begleitet von Clarence Clemons am Saxophon.